Salem schrumpft zusammen

Von Oswald Petersen, Kreuzlingen

Der Internatsverein der Schule Schloss Salem hat beschlossen den Hohenfels zu schließen. Was folgt?

1. Karikatur mit Text

Die Schule schrumpft zusammen. Aus dem einst stolzen 600-Schüler Internat, dem weit größten Deutschlands, wird ein Ein-Standort-Mittelklasse-Einheitsinternat. Am Ende werden in Salem 200-300 Schüler der 7.-12. Klasse zur Schule gehen. Der gute Ruf längst vergangener Tage wird zwar immer noch ein paar Schüler ins schöne Salemer Tal bringen, aber die großen Zeiten sind für immer vorbei. Wie ist es dazu gekommen?

Seit Anfang des neuen Jahrhunderts ist eine Abwärtsbewegung in der deutschen Internatelandschaft erkennbar. Deutlichster Ausdruck hiervon war sicher der MissbrauchsSkandal und letztlich die Schließung der Odenwaldschule, ein Internat, das Salem immer besonders nahe stand. Aber auch die kirchlichen Schulen blieben von Missbrauchsvorwürfen nicht verschont. Salem konnte sich diesen Skandalen zwar weitgehend entziehen, aber es gibt deutschlandweit einen Rückgang der Schülerzahlen, vor allem in der Unterstufe, der zu einigen Schließungen geführt hat. Nicht die Skandale sondern die ständige Überbehütung und Sorge vieler Eltern um ihre Kinder ist wohl der Hauptgrund dieser Entwicklung. Hieraus liest Salem´s Leitung das Signal, sich auf einen Standort zurückzuziehen. Statt die Chance zu ergreifen die sich bietet, begräbt Salem seine Geschichte unter einem neuen Konformismus. Das Ziel ist jetzt: Gute Noten im Abitur zu erreichen. Salem sucht sein Heil in der Anpassung an den Trend, in einer möglichst konturlosen Mittelmäßigkeit. Das kann gelingen, mit dem oben skizzierten Ergebnis. Ob der Schrumpfungsprozess allerdings finanziell zu managen ist, wage ich zu bezweifeln. Ständig sinkende Schülerzahlen sprich Einnahmen sind nicht gerade eine einfache Voraussetzung für eine ausgeglichene Bilanz.

Was wäre die Alternative? Die Alternative hieße: Salem begreifen. Dazu muss man vor allem dort gewesen sein, am besten viele Jahre als Schüler, aber auch alles andere zählt. Dieser Ort, bzw. diese Orte, haben einen bestimmten, kaum in Wort zu fassenden, inneren Glanz, der sich nur dem erschließt der sie als Schüler, Mentor oder Lehrer, im täglichen Mit- und Gegeneinander, erfahren, erduldet und erstritten hat. Das geht nicht an einem Ort. Hohenfels ist so speziell, so absolut einzigartig, dass kein Kind jemals eine Kindheit dieser Art in Salem erleben kann. Es ist eine Burg für Kinder. Nie wird es das wieder geben, hier verliert nicht nur Salem, hier verliert Deutschland ein Alleinstellungsmerkmal. Der Verlust ist endgültig und nicht wieder gut zu machen. Ähnlich, aber nicht so bedeutend, wird es sein, wenn Spetzgart schließt, oder auch Härlen, dieses letzte Salemer Kleinod der 90er Jahre. Übrig bleibt Salem selbst, was wirklich auch ein wunderschöner Ort ist. Aber acht Jahre sind zu lang und zu gleichförmig an einem einzigen Ort, das wird unattraktiv sein, die meisten Kinder werden erst in der Mittelstufe kommen. Und wenn Salem seine Unterstufe verliert, wovon auszugehen ist, dann schrumpft es, von unten, zu einem Einheitsmittelklasseinternat.

Salem wird von Buchhaltern, neudeutsch Controllern, regiert, und so wichtig diese sind, so wenig verstehen sie davon, Salem eine unternehmerische Vision zu verleihen. Es muss gar nicht unbedingt die Hahnsche Idee sein, es muss auch nicht unbedingt der neueste pädagogische Schrei sein, aber es muss eine Vision sein, die den Salemer Geist in sich trägt.

Salem hätte diese Chance: Warum? Weil Salem, wenigstens in Deutschland, der Inbegriff des Internats ist. So wie Microsoft der Inbegriff des PCs und Miele der Inbegriff der Waschmaschine ist, ist Salem DAS Internat. Mit dieser Marke ist mehr möglich als ein Schrumpfkonzept. Man kann, ja man muss, Trends setzen, statt ihnen nur zu folgen, wenn man Marktführer (das Wort sagt es ja schon) ist und bleiben will.

Vor allem müsste Salem das Internat, nicht die Schule, zum Vorzeigestück machen und darstellen warum ein Aufwachsen in der Gemeinschaft besser ist und mehr Erfolg bringt als ein kleinkariertes Zuhause. Das Internat ist das Merkmal das diese Kindheit und Jugend so einzigartig macht. Wenn Salem sich in einen Wettbewerb um die besten schulischen Leistungen begibt, hat es von vornherein verloren. Und wenn das Internat tatsächlich keine Zukunft hat, dann wird Salem schließen müssen. Salem muss auf das Internat setzen, das ist sein Kerngeschäft. Disziplin und Streberei können andere Schulen besser, für weniger Geld. Das entspricht nicht Salemer Geist. Alle prägenden Erinnerungen (nicht nur) meiner Hohenfelser, Salemer und Spetzgarter Jahre beziehen sich auf Ereignisse außerhalb der Schule. Ich denke deshalb daran, nur zum Beispiel, dass alle Salemer Schüler in mindestens einer Disziplin aus den Bereichen Sport, Musik, Kunst, Rhetorik oder Schach (…) sich auszuzeichnen, ja brillieren lernen sollten. Das wäre eine Salemer Idee, aber bitte nicht um der Schulnoten willen. Eine Jugend in Salem sollte (auch) deshalb attraktiv sein, weil die Schule eben nicht den übertriebenen Stellenwert einnimmt, den sie in Ganztagsschulen hat. Kinder und Jugendliche acht Stunden am Tag in Klassenzimmer und an Schreibtische zu setzen, lehrt sie zu buckeln und zu streben, beraubt sie ihrer Freiräume, und damit ihrer Kreativität. Das sollte kein Vorbild für Salem sein, dem es nachzueifern sucht. Im Gegenteil sollte Salem gegen diesen Trend einen Kontrapunkt setzen und auch laut und selbstbewusst sagen, dass es hier etwas Interessanteres zu erleben gibt als nur Schule.

Es müsste nun ein Wunder geschehen, das
a) die Spaltung der Mitarbeiter, der ASV und der Öffentlichkeit in Befürworter und Gegner des jetzigen Kurses aufhebt
b) einen neuen, gemeinsamen Kurs definiert
c) alle Mitarbeiter, Eltern und Schüler, plus Umfeld, zusammen bringt um wieder ein gemeinsames Salem zu bauen.

Die jetzige Leitung versucht die „Befriedung“, indem sie die „Störenfriede“ entfernt. Das wird weder kurzfristig noch langfristig zum Erfolg führen, sondern nur weitere Zwietracht säen und die Erosion weiter beschleunigen. Aber auch ihre Gegner sind zuweilen mehr darum bemüht, die Leitung zu diffamieren, anstatt konstruktiv an einer Lösung, sprich an einem Konsens, zu arbeiten.

Also: Alles Frust? Nein, das nicht. Aber doch ein Aufruf, mit den ideologischen Kämpfen aufzuhören und wieder auf den Teppich zu kommen. Weder sind die Leiter Salem’s komplette Idioten oder gar bösartig, noch sind wir, die wahrscheinlich gescheiterten Verteidiger des Hohenfels, reine Engel. Lass uns versuchen wieder miteinander zu sprechen.

Salem hat diese Chance verdient.

Oswald Petersen, Kreuzlingen 20.2.2016
Ho 70-73, Sa 73-77, Sp 77-79

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