Offener Bereich

Salem am Scheideweg

Beitrag von Christian Jancke

Salem steckt in einer selbstgemachten Krise. Nicht die Einführung des G8, der demographische Wandel oder die zunehmende Anzahl der Ganztagsschulen mit internationalen Angebote in den Großstädten sind schuld an der zurückgehenden Auslastung insbesondere der Oberstufe. Sondern die Tatsache, dass der Schule die Strahlkraft und ein überzeugendes pädagogisches Leitbild fehlt, das die Hahnsche Erlebnispädagogik an die Erwartungen und Bedürfnisse des 21. Jahrhunderts anpasst. Dadurch hat die Schule in der Öffentlichkeit und bei den Eltern potentieller Schüler sukzessive verloren. Seit der Übernahme des Vorsitzes des Internatsvereins durch den früheren Vorstand und Aufsichtsrates der Deutschen Bank, Clemens Börsig, haben sich in der Schule die Prioritäten weg vom Kerngeschäft, der Erziehung hin zur Betriebswirtschaftslehre verschoben. Der Schulleiter betrachtet sich als Vorsitzender der Geschäftsführung und der Vorsitzender des Vorstands des Internatsvereins fühlt sich als Aufsichtsratvorsitzender der „Good Governance“ verpflichtet. Der Pädagoge Westermeyer und der Journalist Leicht haben dabei übersehen, dass im Kern der Betriebswirtschaftslehre nicht das Controlling und die Rationalisierung steht. Das gilt vielleicht für untergehende Marken und Firmen, die sich defensiv mit sinkenden Marktanteilen abgefunden haben. Nicht aber für Unternehmen, die für ein phantastisches Produkt neue Kunden suchen und vor allem dieses Produkt ständig verbessern und modernisieren, um sich erfolgreich dem Wettbewerb zu stellen. Salem muss nicht preiswerter produzieren sondern besser werden. Wer sich mit der Einsparung von Kantinenpersonal und Hausmeistern beschäftigt, hat die erzieherische Wirkung von Herrn Birkenmaier nicht verstanden. Erziehung und Schulbildung im 21. Jahrhundert muss sich zwei neuen Herausforderungen stellen: Der weltweiten Vernetzung und der neuen Dimension des Erlebnisraums Hahnscher Prägung in der digitalen Welt. Wissen wird nicht mehr vermittelt und erlernt, sondern verbreitet und außerhalb des menschlichen Körpers gespeichert, transportiert und vor allen Dingen verarbeitet. Die erste Herausforderung, die Internationalisierung, steckt Salem in den Genen. Die Einführung des IBs ist die Konsequenz aus der Gründung der „Round Square Conference“ und der Hahnschen Gründung der United World Colleges. Salem hat genau genommen nicht nur 4 Standorte. Sondern mehr als 70. Diese Vielfalt von Afrika bis Australien zeichnet Salem aus, weil die Schule als erste Hahnsche Gründung der Nukleus dieses weltweiten Netzes war, als man vom WWW noch nichts ahnen konnte. Wenn Salem diese Verknüpfung als Chance begreift und möglichst vielen, möglichst allen, Schülern die Chance eröffnet, für ein paar Monate einer dieser Schulen zu besuchen, gewinnt die Salem eine neue Faszination, hinter der sich jede großstädtische Internationale Schule verstecken kann. Weil Salem die Internationalität, die dort simuliert wird, lebt. Die Antwort auf die zweite Herausforderung kann kaum sein, den Gebrauch von Mobiltelefonen, Tablets und Notebooks nur zwischen 14.30 und 21.30 zu erlauben. Die Herausforderung ist viel fundamentaler. Salems entscheidende Funktion ist die Charakterbildung und nicht die Erzielung möglichst hoher Durchschnittsnoten. Wer sein Kind fürs Leben bilden will, schickt es nach Salem. Und deshalb ist gerade der Hahnsche Ansatz der altersgerechten Erziehung nicht nostalgisch sondern zeitgemäß. Gerade die klare räumliche Trennung der Unter-, Mittel und Oberstufe ermöglicht im Informationszeitalter die klare Strukturierung der Erlebnispädagogik, die in unserer Zeit einen ungeheuren Anspruch an das Abstraktionsvermögen der Kinder stellt, dem sie scheinbar spielerisch gerecht werden. Gerade hier bietet das Internat fast schon geniale Chancen gegenüber dem heimischen Gymnasium. Das Stichwort heißt: Projektorientiertes Lernen, in dem der virtuelle Raum und das reale Leben verschmilzen. So lernt der Salemer Schüler im 21. Jahrhundert, das möglicherweise Rechte überhaupt zu erkennen und dann durchzusetzen – Hahns eigentliches Credo. So etwas wird in PISA-Finnland heute schon erprobt und ist bei den Angelsachsen fast schon die Regel. Salem bietet die Chance, einen allumfassenden Bildungsanspruch vom Unterricht bis in die Innungen und Dienste zu tragen. Darüber müssten in Salem die Arbeitsgruppen brüten und nicht über Rationalisierungsprozesse und Kosteneinsparungen. Wenn das „Produkt“ Salem an Zugkraft verloren hat, führt eine defensive Haltung in den Verlust von Umsätzen, Marktanteilen und potentiellen Schülern. Wer seinen eigenen Misserfolg so überzeugend verfolgt wie das derzeitige „Management“,sorgt dafür, dass die Schule den Nimbus des Erfolges verliert und damit die Faszination der Salemer Legende, die das Schulgeld rechtfertigt. Wer in kaufmännischen Kategorien denkt, muss wissen, dass Image und Markenbildung viel entscheidender für Salems Erfolg sind als die Höhe des zu teuren Schulgeldes. Der Ruf der Schule wird nicht von denen beschädigt, die den gegenwärtigen mutlosen Kurs der Verwalter einer Idee publizieren, statt wie Kurt Hahn, Prinz Max von Baden, Markgraf Bernhard, Eberhard von Kuenheim oder August Oetker für Salems Einzigartigkeit prinzipientreu zu kämpfen und um der Prinzipien willen die Existenz zu riskieren, nicht aufs Spiel zu setzen. „Aufsichtsrat“ und „Geschäftsführung“ untersagen dem Elternbeirat satzungsbedingt eine Stellungnahme zu seinen Plänen. Wer lässt sich für die Zahlung von fast 50.000 Euro pro Jahr als „Kunde“ einer gemeinnützigen GmbH so demütigen. Und die handelnden Personen mahnen kritische Mitarbeiter ab. Damit verraten die handelnden Personen die Salemer Prinzipien und das eherne Hahnsche Prinzip, das „für Recht erkannte durchzusetzen“. Die Voraussetzung dieser Maxime ist der offene Diskurs und nicht eine Podiumsdiskussion, auf der die Befürworter des „Salem an einem Standort“ sich die Mikros in die Hand geben. Dieser Bruch wirkt nicht nur fatal auf die Neuanmeldungen und Schülerzahlen. Er führt nicht nur zum Verwürfnis zwischen der Institution und den Altschülern. Er wird auch die Leistungsträger aus Salem verjagen, die Mentoren und Lehrer, die Vorbilder und Autoritäten, die für die Erziehung und Charakterbildung so essentiell sind, weil sie Vorbilder sind, an denen wir uns alle orientiert haben. Solche Menschen werden sich für ihr segensreiches Wirken andere Spielorte suchen. Der Erosionsprozess hat längst begonnen. Das Verhalten von „Geschäftsführung“ und „Aufsichtsrat“ ist eine pädagogische Bankrott-Erklärung, die die betriebswirtschaftliche Insolvenz zwangsläufig nach sich ziehen muss. Da haben Amateure ein ehernes Gesetz nicht verstanden: „Form follows function“. Um die Einsparung von ein paar Kostenarten wird eine Marke, eine Legende, ein Produkt entwertet, ausgehöhlt und geopfert. Salem steht am Scheideweg. Es geht um viel mehr als nur die „Aufgabe eines Standortes“. Sondern um die Aufgabe aller Prinzipien, die den Menschen wichtig waren, die Salem gegründet und groß gemacht haben. Das Erbe Salems zu verteidigen, hat mit Nostalgie nichts zu tun. Sondern mit Prinzipienfestigkeit.

 

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar