Fehlerkultur

Fehlerkultur

Fehler machen wir alle.  Fehler gehören zum Leben. Fehler kommen vor. Fehler sind unerfreulich. Fehler können teuer werden. Manche Fehler sind gefährlich. Aus Fehlern wird man klug. Und doch gibt es hierzulande bislang kaum so etwas wie eine positive Fehlerkultur, einen konstruktiven Umgang mit Fehlern, der über den Zwang, Fehler zu vermeiden, hinausgeht. Doch zugleich scheint sich hier gerade etwas zu ändern. Veröffentlichungen zu einer neuen, offenen Fehlerkultur, in Schulen, Unternehmen und Banken, im Gesundheitswesen, erreichen den Markt in großer Vielfalt.

Irren ist menschlich. Über die herziehen, die geirrt haben, ist es auch. Manchmal ist es aber auch unmenschlich. Es ist so einfach, aber es ist, auch wirtschaftlich betrachtet, einfach dumm, mit dem Finger auf den Fehlerverursacher zu zeigen, statt ergebnisoffen zu fragen, warum ein Fehler gemacht wurde. Genauso fatal wie das reflexhafte Abstrafen ist das Verschweigen und Vertuschen von Fehlern. In Kliniken hört man bisweilen von Patienten und Angehörigen den resignierten Satz: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ Ärztliche Kunstfehler und generell Fehler im System Krankenhaus wurden und werden leider immer noch häufig unter den Teppich gekehrt, statt gründlich und lernbereit analysiert.

Aus Fehlern lernen?

Beim Thema Fehler geht es immer auch um Ansehen und Ansehensverlust, um Status und Statusverlust, um Scham und Beschämung. Sätze wie „Ich hab da etwas falsch gemacht“ sind die Ausnahme in einer Gesellschaft, die sich an der glatten Oberfläche des Perfektionismus orientiert. Wer Fehler macht und eingesteht, empfiehlt sich bei uns nicht gerade für Führungspositionen. Und in der Schule werden Fehler mit Rotstift markiert und mit schlechten Noten bestraft. Dies alles lädt nicht dazu ein, aus Fehlern zu lernen. Wo soll man also den richtigen Umgang mit Fehlern lernen? Die Angst, etwas falsch zu machen, bzw. der Zwang, einen begangenen Fehler zu verbergen, führen erst recht zu folgenreichen, schwerwiegenden Fehlern.

Fixierung auf Fehler

Wie problematisch es ist, Angst vor Fehlern zu erzeugen und die Fehlervermeidung als höchstes Gut zu vermitteln, kann vielleicht folgende Überlegung verdeutlichen: Erwachsene Menschen, die ihre Arbeit einigermaßen ernst nehmen und mit ihr zufrieden sind, wollen gut arbeiten, zielführend arbeiten, kreativ und erfolgreich arbeiten. Das liegt in der Natur des Menschen: Kinder, die aus Bauklötzchen ein Haus bauen, wollen etwas schaffen; ihr Anliegen ist es nicht, Fehler zu vermeiden. Sie sehen das große Ganze, ihr gemeinsames Projekt. Und dabei sind sie innovationsfreudig, ausdauernd, risikobereit, hochkonzentriert und gleichzeitig tiefenentspannt. Fehlversuche gehören dazu! Wird allerdings Druck erzeugt, etwa das Einstürzen des Hauses sanktioniert, dann werden die Kinder unsicher, sie entwickeln Angst vor Fehlern; die Lust, Neues auszuprobieren, wird gehemmt; sie verunsichern sich gegenseitig, der Hausbau stockt, oder das Haus stürzt tatsächlich ein – und das ist nun wirklich eine Katastrophe.

Ist es ein Fehler, Fehler zu bestrafen?

Es ist menschlich, sich über Fehler zu ärgern, gerade als verantwortlicher Vorgesetzter – und einfach mal Dampf abzulassen, indem man den Fehlerverursacher rügt und rüffelt. Der Vorgesetzte will das Problem in den Griff bekommen, aber seine Vorwürfe und seine Kritik sind nur die Illusion einer Kontrolle bzw. einer Verbesserung der Situation. Die Rüge erzeugt Druck, verunsichert und fördert so die Fixierung auf die Fehlervermeidung. Doch genau das wird mangelnde Kreativität, mangelnde Produktivität und möglicherweise neue Fehler zur Folge haben. Die Frage, ob es ein Fehler ist, Fehler zu bestrafen, ist wohl tatsächlich mit einem klaren Ja zu beantworten. Fehler dürfen aber auch nicht ignoriert, sie müssen vielmehr analysiert werden – und das hört sich leichter an, als es ist. Fehleranalyse ist in keinem Fall ein angenehmes und harmloses Unterfangen. Kommen aber Vorwürfe und Sanktionen hinzu, dann kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Wege, die zum Fehler geführt haben, nicht offengelegt werden, und Vertuschungs- und Verschleierungstaktiken die Analyse schwer be- oder gar verhindern. Wenn die Schuldfrage im Mittelpunkt steht und nicht die Sachfrage, dann werden sich alle irgendwie Beteiligten Strategien der Entschuldigung zurechtlegen und die Verantwortung wie eine heiße Kartoffel weiterreichen.

Der Wunsch nach Perfektion und die Angst vor Beschämung.

Häufig sind wir ja selbst ziemliche Perfektionisten und können es nicht ertragen, Fehler zu machen. Wir sind eben auch Kinder einer sehr einseitigen, auf Vermeiden ausgerichteten Fehlerkultur. Wir wollen verbergen, dass uns Fehler unterlaufen, auch, weil wir ein Gefühl der Unsicherheit und der Minderwertigkeit gegenüber den erfahrenen, besser ausgebildeten, älteren, jüngeren, sprachlich oder technisch versierteren … Kollegen haben. Die Angst vor Entwertung, vor Beschämung und Bestrafung verhindert, dass wir Fehler offenlegen. All diese Faktoren veranschaulichen, wie unverzichtbar eine entwickelte, gut etablierte, positive Fehlerkultur ist. Im Grunde müsste es das Anliegen aller sein, das Offenlegen von – auch eigenen – Fehlern, die ernsthafte und ehrliche, die kluge, kreative, lernbereite Fehleranalyse zu fördern, um tatsächlich eine neue Kultur, eine neue Offenheit im Umgang mit Fehlern entstehen zu lassen. Eine offene Fehlerkultur ist ganz sicher kein Luxus, sondern ein Menschenrecht und gewissermaßen erste Christenpflicht.

 

(Mit freundlicher Bewilligung von Dorothee Sandherr-Klemp und des Verlages Butzon & Bercker, erschienen in Magnificat, 2017)

 

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