Entscheidung über die Zukunft Salems („das Salem Kolleg gehörte geschlossen, nicht der Hohenfels“)

Brief von Carl Christian Jancke                                          6.11.2015

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

Am 07. und 08. November entscheiden Sie über die Zukunft Salems. Nachdem Friederike Mauritz Ihnen meinen Brief an das ASV – Präsidiums zugeleitet hat, erlaube ich mir hier einige Ergänzungen. Ich bitte um Geduld und Nachsicht, dass Ich Ihre Zeit und Aufmerksamkeit beanspruche. Salems Stärke war die Kontinuität im Wandel, die Salemer Werte in veränderte Rahmenbedingungen zu übersetzen und zu erkennen, welche Strukturen bewährt und welche überkommen waren. Die in Frage gestellte Dreistufigkeit ist ein klassisches Beispiel dafür, wie innovativ Salem immer wieder auf eine selbstverschuldete Existenzbedrohung reagiert hat. Die Schule hat sich einfach neu erfunden, ohne ihrer DNA untreu zu werden. Salem hat sich in seiner Vergangenheit hervorragend auf das Erbe Kurt Hahns verstanden. Es hat die konkreten, veralteten Strukturen wie den aristrokatischen Ständestaat abgelegt und die Idee der politischen Erziehung zeitgemäß interpretiert. Von dieser Fähigkeit, Hahns Prinzipien in einer veränderten Welt zu reflektieren, ist nichts mehr zu sehen. Die Schule verharrt seit viel zu langer Zeit im selbstgefälligen Stillstand und dem vermeintlichen Bewusstsein, so bleibe man das beste Internat der Welt von selbst. Heute reagiert Salem ängstlich und defensiv auf die eigene Krise und nicht mit einem neuen Entwurf: Wie verlängert man das Konzept der Erlebnispädagogik in den virtuellen Raum, der unser Leben immer mehr beherrschen wird? In einer Zeit, in der geograpische Entfernungen immer mehr an Bedeutung verlieren, hat das auch Konsequenzen für das Landerziehungsheim. Salems Antwort ist ein digital gepimpter Kapitelsaal und ein Handy- und Computerverbot während bestimmter Tageszeiten. Das ist für einen pädagogischen Leuchtturm zu wenig. Und wie machen wir ein Asset aus unserer internationalen Kompetenz und dem Alleinstellungsmerkmal, in Round Square mit über 150 hervorragenden Schulen auf der ganzen Welt vernetzt zu sein. Die Antwort müsste doch wohl „Salem weltweit“ und nicht „Salem an einem Ort“ sein. Wenn jeder Salemer Schüler ein Trimester oder Jahr auf einer dieser Schulen verbrächte, entstünde ein einmaliges Angebot, das für viele Eltern und Schüler hoch attraktiv wäre. Und das können die vielen Schulen in den Großstädten nicht bieten, und wenn sie sich noch so international nennen. Sie bleiben lokale Bildungsangebote. Die Generation unserer Kinder erfüllt Kurt Hahn einen ungeträumten Traum. Sehr viele von ihnen erleben irgendwo auf dieser Welt ein freiwilliges soziales Jahr , übernehmen Verantwortung für andere und stehen dabei auf den eigenen Füßen. Auch wenn manches davon nach Armutstourismus von Kindern aus reichen Ländern klingt, profitieren die meisten von ihnen enorm und zu denen, denen geholfen wird, entstehen Freundschaften, die heute dank Facebook fortbestehen. Erlebnispädagogik at it´s best. Die Antwort der Schule darauf ist das Salem Kolleg, wo dem unentschloßenen Abiturienten von wissenschaftlichen Hilfskräften für 20.000 Euro die Entscheidung abgenommen werden soll, was sie mit ihrem Leben anfangen könnten. Zu den Ingredenzien gehört auch die Simulation eines Schusses Hahnscher Erlebnispädagogik im irrealen Raum. Mit der Realität, die die Freiwilligen auf allen Kontinenten erleben, hat das nichts zu tun. Das Konzept ist an Weltfremdheit nicht zu überbieten. Das Salem Kolleg zeigt das ganze Dilemma: Als Cash Cow erfunden, produziert es mangels Nachfrage (die zu erwarten war) horrende Verluste – man spricht von 600.000 Euro p.A.. Gleichzeitig gefährdet es die Existenz der ganzen Schule, weil das Marketing alleine darauf focussiert wurde und der 12. Jahrgang nicht mehr geschlossen auf den Härlen wechseln kann. Das Salem Kolleg gehört geschlossen und nicht der Hohenfels. Eine offensive Vermarktung der Oberstufe würde zum nächsten Jahr schon wieder einen Teil der Internatsplätze füllen können. Die Dominanz der Betriebswirtschaft über die Pädagogik hat besonders deshalb fatale Folgen, weil der Journalist Leicht und der Pädagoge Westermeier keine wirkliche Ahnung davon haben. Denn ein Unternehmen lebt nicht von der Einsparung von Kosten sondern vom Verkauf eines Produkts und damit auch von dessen Faszination. Wer sich auf den einseitigen Rationalisierungspfad begibt und dabei auch noch die Qualität aus den Augen verliert, landet in der Opel-Falle. Durch Erosion von Produkt und Marke sinkt der Absatz bis zur Insolvenz. Eine fatale Abwärtsspirale. Standortschließungen pflastern auf diesem Weg in´s dunkle Tal den Weg.. Diese Entwicklung ist für Salem vorhersehbar. Jede große Marke lebt von immateriellen Werten, Ideen, Visionen. Wer meint, wie Robert Leicht, wer Visionen hat, solle zum Augenarzt gehen, taugt vielleicht zum Verwaltungschef einer öffentlich-rechtlichen Behörde mit staatlicher Bestandsgarantie. Wer wie Salem ständig die Idee des Unternehmers penetriert, sollte über den Horizont des Buchhalters hinaus blicken können und mit Zielen, Innovationen und offensiven Entwürfe. Der große Werber David Ogilvy hat einmal sinngemäß gesagt: Ein Produkt ist nicht wegen seiner Eigenschaften erfolgreich. Sondern wegen der Vorstellung, die der potentielle Kunde von diesen EIgenschaften hat. Ein Unternehmer hätte bei Google, Apple, Microsoft oder wenigstens bei der deutschen Telekom (dort sitzt ein Altsalemer sehr prominent als Vertrauter des Vorstandsvorsitzenden) angeklopft und gefragt: Wie sieht digitales Lernen und Leben in der Zukunft der Kinder aus, die heute in Salem leben? Welche Implikationen hat das auf die Erziehung. Und eine strategische Partnerschaft hätte gewiss auch keine finanziellen Nachteile. Wer wissen will, was gerade die amerikanischen Konzerne und ihre Gründer, die von nichts anderem als der Generierung von Wissen leben, in Bildung investieren, dem empfehle ich mal einen Besuch in Stanford.Salem hat mit dem Round Square Netzwerk ein Asset zu bieten, dass zum weltweiten Anspruch dieser Konzerne passt. Salems Krise schleicht sich schon durch die letzten 10, 15 Jahre. Sie begann, als es nicht gelang einen Nachfolger für Bueb zu finden und der kollektive Internatsvereinsvorstand darauf die Flinte in´s Korn warf. Unter dem Deutsch-Bänker Börsig wurde die Professionalisierung auf die Spitze getrieben, bis hin zur Überprüfung der Satzung des Elternbeirats durch die Rechtsabteilung der Bank. Seit des Übergangs der persönlichen Verantwortung für die Schule von den Mitgliedern des Internatsvereins an eine gemeinnützige Gesellschaft mit BESCHRÄNKTER HAFTUNG hat die Dominanz der Betriebswirtschaft über die Pädagogik drastisch zu genommen. Und wer weniger Verantwortung trägt, fühlt sich auch weniger verantwortlich und ist gerne bereit, sein Stimmrecht zu übertragen, statt sich auf die weite Reise an den Bodensee zu machen, um sich im Gespräch mit Lehrern und Schülern ein eigenes Bild zu machen. Wie hätten Kuenheim, Oetker und co. 1985 im Salemer Wohnzimmer gehandelt, wenn sie nicht unmittelbar gehaftet hätten? Wäre heute ein Markrag Bernhard denken, der sein Schicksal mit dem Kurt Hahns verbunden hat. Aber auch wir, ich müssen uns an die eigene Nase fassen. Erst als die Schließung des Hohenfelses anstand, sind viel zu wenige von uns aufgewacht. Wir nicht Internatsvereinsmitglieder hätten uns als “Stakeholder” früher einmischen müssen und Euch/Sie über unsere Bedenken aufmerksam machen. Als Prinz Max von Baden und Kurt Hahn Salem nach dem ersten Weltkrieg gründeten, wollten sie einen zweiten verhindern. Die Elite eines ganzen Kontinents hatte versagt. Meines Erachtens, weil sie aus einem aristrokatischen Zeitalter stammte, das mit der Industriegesellschaft nicht kompatibel war. Heute werden wir von einer Elite dominiert, die aus dem Industriezeitalter stammt und die digitale Revolution nicht versteht. Das wäre eine Herausforderung. Kurt Hahn hatte eine Vision. Robert Leicht hat keine Idee. Salem ist mehr als eine Privatschule. Salem ist ein öffentliches Gut! Es ist als eine politische Institution gegründet, die selbst das erfüllen sollte, was Salem von seinen Absolventen erwartete: Beispiel zu geben, Verantwortung zu tragen und dem Ganzen zu dienen. Dieser Auftrag scheint in den vergangenen Jahren verloren. Er ist es aber, der Salems Einzigartigkeit ausgemacht hat und aufgrund der Leuchtturmfunktion eine hohe Attraktivität auf Schüler und Eltern ausgestraht hat. Als Stakeholder, um im Jargon von Robert Leicht zu bleiben, kann ich nur an Sie als Mitglieder des Trägervereins unserer Schule appellieren. Die Miniaturvariante von “Salem an einem Ort” ist nicht nur defensiv. Sondern destruktiv. Und am Ende defizitär. Der Weg in die Insolvenz ist vorgeschrieben. Es gibt kein Argument, warun die neue Struktur auch nur einen Schüler zusätzlich anlocken könnte. Sondern nur die vage Hoffnung, dass nicht allzu viele nicht gehen. Und noch ein paar kommen. Das ist zuwenig. Zuguterletzt wird die Salemer Sache ihre wichtigsten Protagonisten verlieren. Die ehemaligen Schüler. Wir können uns mit dem, was in Salem gerade geschieht, nicht identifizieren. Wir sind aber nicht nur vermeintliche Nostalgiker und Störenfriede. Wir sind Multiplikatoren und Reservoir. Mit der Entscheidung, den Hohenfels zu schließen, wird das elastische Band zwischen Absolventen und Schule unwiderruflich zerschnitten. Es fällt mir schwer, diesen Brief zu schließen. Es gibt zuviel, was nicht gesagt und vorgetragen ist. Salems Zukunft liegt in Ihren Händen. Sie können sich für die kleinmütige Variante entscheiden und hoffen, dass Salem an einem Ort mit einer Handvoll Schüler im Schloßbezirk als Presse für schlechte Schüler überlebt. Irgendwie. Sie könnten sich aber auch entscheiden, Vorstand und Geschäftsführung ein endgültiges Votum zu verweigern. Und zwei Maßnahmen zu beschließen. Ein Kreis um Metz und Schiffer hat ein pädagogisches Konzept entwickelt, das die Wiederbelebung der Salemer Pädagogik formuliert und die aktuellen Schwächen im täglichen Geschäft beseitigt. Es wird auf breite Zustimmung aller Stakeholder treffen, der Schüler, der Pädagogen, der Eltern und der Altschüler, die das blanke Schließungskonzept ablehnen. Die Konzentration auf das Wesentliche würde vielleicht die operativen Probleme lösen und die aktuelle Qualität auf ein Niveau zu heben, das wieder attraktiv ist. Der zweite Schritt muss ein zukunftsorientiertes Konzept bringen. Dafür sollte sich Salem zwei, drei Jahre Zeit lassen und eben die zwei bereits gestellten Fragen mit Hilfe von Externen und gerade des Netzwerkes der Stakeholder aus Eltern und ehemaligen Schülern beantworten: Wie wenden wir das Konzept Hahns im 21. Jahrhundert an? Wie sorgen wir hier für Charakterbildung, die der nächsten, noch unvorstellbaren technologischen Innovation standhält? Und wie trägt Salem einer zusammen wachsenden Welt noch stärker Rechnung? Leider haben sich Vorstand des Internatsvereins und Geschäftsführung der Schule in einer mentalen Wagenburg verschanzt, aus der sie nicht mit der Überzeugung des Arguments sondern gegenüber den Mitarbeitern mit dem Instrument der Abmahnung agieren, wie auch das Präsidium der ASV gegenüber ihren Mitgliedern. Mir scheinen sie in einer Art Tunnelblick auf die vermeintlich produktivste Lösung “Salem an einem Ort” fixiert. Die intellektuellen Scheuklappen verhindern die Wiedererlangung des Überblicks. Wer überzeugende Argumente hat, braucht die Diskussion nicht zu scheuen und könnte es auch aushalten, dass alternative Konzepte entwickelt und Ihnen, den Mitgliedern des Internatsvereins, präsentiert werden. Am Ende kommen wir zum Anfang zurück. Salem ist nicht mehr so viel besser wie viele anderen Schulen. Durch eine Reduzierung der Standorte verliert es auch noch ein strukturelles Alleinstellungsmerkmal. Ändern tut das nichts, denn die Schule macht mit zu wenig Schülern in der Oberstufe Verluste. Und mit dem gescheiterten Experiment des Salem-Kollegs. Liebe Mitglieder des Internatsvereins. Übernehmen Sie Verantwortung und schaffen Sie keine unumkehrbaren Entscheidungen. Lassen Sie sich nicht unter einen vermeintlichen Druck setzen und halten Sie der Schule alle Optionen offen. Viele der „Stakeholder“, die übergangen, ignoriert, teilweise diffamiert und ausgegrenzt werden sollten, stünden Salem mit Geld und gutem Rat zur Seite. Und die allermeisten, die sich im Verein „Pro Hohenfels“ engagiert haben (ich übrigens nicht) sind keine Nostalgiker. Mit herzlichem Gruß Carl Christian Jancke

Ende

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